„Wenn Sie mit mehr Fragen nach Hause gehen, als Sie Fragen mitgebracht haben, dann ist es gut gelaufen“ — so sprach Dr. phil. Harald Fritz M.A. in seiner Begrüßungsansprache Kongress der Stiftung Homöopathie-Zertifikat SHZ „Forschung in der Homöopathie“, am 25. und 26. Mai 2016 in Heppenheim. Dr. Fritz meinte freilich eine der Wissenschaft und Forschung allgemein förderliche innere Haltung und nicht jene Art von losen Enden, die bei schlechter Forschung offen bleiben.
Größeres Medieninteresse richtete sich auf den fast zeitgleichen Bremer Homöopathie-Kongress des DZVhÄ. Auch dort befasste man sich mit dem Thema Homöopathie-Forschung. Skeptizisten und die „Bildzeitung für Abiturienten“ (auch spiegel genannt) folgten auf dem Fuße mit der üblichen, inhaltsleeren Häme. Interessant bleibt der Forschungs-Reader der Wissenschaftsgesellschaft Homöopathie WissHom.
Der Stiftung Homöopathie-Zertifikat war es gelungen, einige der hervorragendsten Forscher und wissenschaftlichen Experten aus dem deutschsprachigen Raum zu ihrem Forschungs-Kongress zu gewinnen. Zusätzliche Kurzvorträge, Poster-Präsentationen von laufenden Master-Arbeiten und eine Dissertation zeugten von den wissenschaftlichen Aktivitäten homöopathischer Heilpraktiker. Den Versuch, den bestens organisierten, von über 100 Teilnehmern besuchen Kongress mit allen Referenten und Beiträgen inhaltlich zusammenzufassen, überlasse ich anderen und gebe schlicht persönliche Eindrücke und Gedanken wieder.
Bislang galt mein Interesse vorwiegend der klinischen Homöopathie-Forschung, also der Anwendungsforschung mit wirklichen Patienten. Vieles, was unter Kollegen von Interesse sein darf, habe ich auf meiner Website unter „Forschung“ zusammengestellt. Eines der Themen der SHZ-Tagung war die Bedeutung sogenannter unspezifischer Effekte, auch Placebo genannt, in allen Therapieformen inklusive Homöopathie und Schulmedizin. Das vorliegende Forschungsmaterial zu Placebo und Nocebo (Letzteres sind Effekte durch eine negative Erwartungshaltung) füllt manche Regalmeter. Doch Therapie, Homöopathie wie auch konventionelle Therapie, so zeigte der Kongress, ist ein Feldgeschehen. In diesem Feld können Behandler, Therapeut und therapeutische Intervention, somit auch spezifische und unspezifische Wirkungen nur bedingt und nicht völlig störungsfrei getrennt werden. In der Placeboforschung wie auch in der Arzneiforschung, so meine Beobachtung, wird viel zu selten ausreichend unterschieden zwischen Wirkung und Wirksamkeit, zwischen leicht messbaren kurz- bis mittelfristigen Effekten und nachhaltig langfristiger Wirksamkeit.
Doppelblindstudien sind gut geeignet zur Beobachtung von Effekten, die innerhalb von Tagen bis maximal sechs Monaten auftreten. Die für viele Krankheitsbilder weitaus wichtigere Beobachtung langer Zeiträume gesundheitlicher Entwicklung auf mehr als nur grobe Endparameter wie Überlebensraten braucht andere Methoden, sowohl wegen des Kostenaufwands und als auch wegen der Unvermeidlichkeit von Unschärfen durch zusätzliche Faktoren, die in das Leben von Probanden treten. Geeignet sein könnte, unabhängig von der Therapiemethode, der Ansatz der Cognition based Medicine, der zudem direktere Rückschlüsse für die Praxis erlaubt. Ferner, so mein Resümee, sollten sogenannte Placebo-Effekte viel genauer klassifiziert und unterschieden werden. Suggestion und Autosuggestion mögen ja enorme Wirkungen haben. Langfristig heilt nach meiner Einschätzung nur — gleich, wie weit die Unterscheidung „spezifisch versus unspezifisch“ dabei noch gelingen mag — was den Patienten in seine Eigenwirksamkeit führt.
Grundlagenforschung nennt man Untersuchungen, die nicht auf Patienten, sondern auf grundlegende Prinzipien, Wirkungsweise und Plausibilität ausgerichtet sind, wie in unserem Falle die Wirkung homöopathischer Potenzen. Was interessiert es uns, wie sich ein Weizenkeim, eine Kaulquappe oder eine Zellkultur in einer hoch potenzierten Lösung verhält? Mit Krebszellen oder Fröschen kann ich weder eine homöopathische Anamnese durchführen noch individualisiert verordnen, und Fragen der „Beweisführung“ langweilen den Praktiker. Die auf dem SHZ-Kongress dargestellten Experimente und ihre Replikation (Wiederholung durch andere Forscher) zeigten vor allem zweierlei.
- Geeignete homöopathische Potenzen, auch nicht stoffliche Hochpotenzen, „tun etwas“, auch mit unintelligenten Zellen, und diese Effekte sind im Grundsatz replizierbar.
- Homöopathische Potenzen wirken anders, als wir dies denken. Beispielsweise mit Sprüngen bei bestimmten Potenzierungsstufen, mit Resonanzeffekten in unmittelbar benachbarten Reagenzgläsern, oder mit Varianzen bei der Replikation bei übereinstimmendem Grundmuster. Manches erscheint eher systemtheoretisch als klassisch-physikalisch nachvollziehbar; von einer Erklärbarkeit sind wir noch weit entfernt. Zugleich entstehen daraus Fragen, die durchaus unsere Praxis betreffen!
Als besonderes Highlight erlebte ich den Vortrag von Dr. med. Mag. phil. Susanne Diez „Phänomenologie der Wahrnehmung — zur Subjektivität der Homöopathie im Kontext von Wissenschaftlichkeit“ (vgl. ihren älteren Artikel „Die Subjektivität als ein Grundprinzip der Homöopathie“). Als homöopathische Ärztin, Psychotherapeutin und Philosophin gelang es ihr, Brücken zu schlagen zwischen Erkenntnistheorie, Wissenschaft und Heilkunst, die im naturwissenschaftlich geprägtem Denken wenig geliebte Gegebenheit der Subjektivität näher auszuleuchten und unsere homöopathische Praxistätigkeit weitläufig zu reflektieren, ohne unserem Tun fremde Theorien aufzusetzen.
Zwischenbilanz:
- Es gibt eine Vielzahl hervorragender Studien, welche die Wirkung und Wirksamkeit der Homöopathie jenseits von Placebo und Glauben belegen. Diese Tatsache wird meist aus weltanschaulichen oder politischen Gründen verzerrt dargestellt. Häufig bestätigt die Forschung allerdings weder unsere Vorstellungen noch jene der Kritiker, sondern zeigt ein Drittes, weitet den Blickwinkel und bringt neue Herausforderungen.
- Die Homöopathie-Forschung ist erst ganz am Anfang. Wir wissen viel, wir wissen wenig. Beides trifft zu. Unser bisheriges Wissen ist nur der Zipfel eines riesigen Tischtuchs, das nicht nur eine Heilmethode, sondern letztlich unser Weltverständnis und wissenschafts-philosophische Fragen betrifft. Mithin die Art, wie wir Wissenschaft betreiben, uns aber auch den großen Fragen des Lebens nähern.
- Es gibt nicht nur eine Krise in der konventionellen Pharmazie, für die es immer schwieriger wird, für neue Produkte eine Wirksamkeit „besser als Placebo“ nachzuweisen (Silberman, Placebo…). Die Situation der Menschheit insgesamt ist im Umbruch, und dies spiegelt sich unvermeidlich in die Wissenschaften hinein. Die Auseinandersetzung um die Homöopathie ist häufig eine ideologische Stellvertreter-Auseinandersetzung; Menschen klammern sich — die einen wie die anderen — an liebgewonnene Weltbilder. Doch jede Krise ist zugleich eine Chance.
Forschung bleibt eine spannende Reise und mitgenommen habe ich eine Fülle. Die Ankündigung, mit womöglich mehr Fragen nach Hause gehen als ich mitgebracht habe, hat sich für mich auf eine schöne Weise erfüllt.
C.C.