Methodik der Homöopathieforschung: neue Ansätze!
Neue Forschungsmethoden werden für die Gesamtmedizin benötigt!
Vorab ist hier klarzustellen, dass wir für die Homöopathie und für sonstige komplementär- oder naturmedizinische Heilverfahren keine Sonderbehandlung wollen. Wir wollen nicht angeblich „weiche“ Cognition Based oder Whole System Research für uns, während sich die konventionelle Medizin den angeblich „harten“ Kriterien der Evidence based Medicine zu stellen hat. Dies abgesehen von der Tatsache, dass auch die konventionelle Medizin keineswegs so evidenzbasiert ist, wie oft getan wird. Unsere Forderung nach neuen, ganzheitlicheren, der Komplexität des Menschen als gleichermaßen geistigem, seelischem und lebendigem Wesen angemessenen Forschungsmethoden gilt nachdrücklich für die Gesamtmedizin. Dies betrifft vor allem die praxisnähere klinische Forschung.
Cognition Based Medicine
Die Cognition Based Medicine (CBM), wörtlich „erkenntnisbasierte Medizin“, liefert eine konkrete Alternative zu den derzeit etablierten Standards der Evidence Based Medicine (EBM). Letztere geht davon aus, dass ein einzelner Behandlungsverlauf keinerlei wissenschaftliche Aussagekraft besitzt. Daher anerkennt die EBM nur Studien mit Patientenkollektiven, die mit statistischen Mitteln ausgewertet werden. Die CBM hält dagegen: Ein einzelner Behandlungsverlauf sagt als bloße „Heilungsgeschichte“ wenig oder nichts aus. Dies ändert sich jedoch grundlegend, wenn zwischen Krankheitszustand, therapeutischer Intervention und Therapieergebnis eine Beziehung im Sinne übereinstimmender Gestaltmuster besteht.
Cognition Based – Beobachtung von Gestaltmustern
Ein Beispiel aus der Homöopathie:
Eine Patientin kommt in die Praxis aufgrund ihrer chronischen Verdauungsbeschwerden. Außerdem leidet sie unter schmerzhafter Menstruation und häufigen Kopfschmerzen. Aufgrund der körperlichen Reaktionsmuster der Patientin und ihres übrigen Gesundheitszustandes inklusive , seelischer Verfassung wurde eine Hochpotenz von Pulsatilla verordnet. Schon nach 14 Tagen werden die Verdauungs- und die Menstruationsbeschwerden der Patientin erkennbar besser. Bis hierhin könnte es sich noch um unspezifische Effekte handeln! Im weiteren Heilungsverlauf erlebt sie dann, obwohl sie ihr Arzneimittel nicht kennt, einzelne, flüchtige Symptome der verschriebenen Arznei an sich selbst. Bereits dies ist eine erste Spur im Sinne der CBM. Nach drei Monaten geht es ihr mit den meisten Beschwerden erheblich besser, doch es bleibt eine bestimmte Art von Kopfschmerzen und bis dahin eher undeutliche Gelenkbeschwerden rücken nun mehr in den Vordergrund. Bedeutet: Pulsatilla war die zunächst beste Arzneiwahl, doch nun benötigen wir ein Folgemittel. Es besserten sich nicht alle Beschwerden, sondern zunächst nur diejenigen, die Pulsatilla als homöopathischem Arzneimittel entsprachen.
Ein „ganz normaler homöopathischer Behandlungsverlauf“ mit nun erforderlichem Verschreibungswechsel. Aus anderer Sicht jedoch eine zweite Spur im Sinne der CBM: Die Wirkung von Pulsatilla bildet sich bei der Patientin als Gestaltmuster ab, denn sie erfuhr ja gerade keine unspezifische Rundum-Besserung, wie wir dies von Placebo-Wirkungen kennen. Sie reagierte vielmehr in ausgesprochen spezifischer Weise! Und zwar auch ohne vorher das Arzneimittelbild nachgelesen zu haben. Solche Gestaltmuster sind in der Reaktion auf homöopathische Arzneimittel besonders gut zu erkennen, weil wir keine Magen-, Kopf- und Menstruationsarzneien haben, sondern jede Arznei sich durch die Kombination hoch differenziert beschriebener Empfindungen und Reaktionsmuster (Modalitäten etc.) abbildet und so auch ausgewählt wird. Hoch arzneispezifischen Reaktionen beobachten wir in der Homöopathie keineswegs nur bei Patienten, die zu viele Homöopathie-Bücher gelesen haben, sondern bei allen Patienten inklusive Säuglingen und Tieren.
Die Cognition Based Medicine wurde nicht von Homöopathen, sondern von anthroposophischen Wissenschaftlern auf Grundlage der Gestalttheorie Karl Dunckers, eines der Begründers der Gestaltpsychologie entwickelt. Dessen ungeachtet lässt sich die Homöopathie in diesem Konzept hervorragend abbilden.
Hervorragende Informationen und frei zum Download verfügbare, deutschsprachige Schriften liefert das
Whole System Research
Whole System Research, auf deutsch in etwa: Erforschung ganzer oder zusammenhängender Systeme, ist ein 2002 begründeter Ansatz der Medizinforschung. Der Forschungsgegenstand, gleich ob Patient, eine Einrichtung des Gesundheitswesens oder eine Heilmethode, sollen dabei unter Einbezug aller auf unterschiedlichen Ebenen denkbaren Einflüsse und ihrer Wechselwirkungen als zusammenhängendes Ganzes betrachtet werden. Ein möglicher Weg ist die detaillierte Analyse möglichst aller in Frage kommenden Faktoren und ihrer Wechselwirkungen, ein anderer Weg ist die phänomenologische Betrachtung, wie sich ein System (Mensch, Patient, Therapieablauf, Gesundheitseinrichtung etc.) im Ganzen verhält, oder man schaut pragmatisch auf den Nutzen für den Patienten. Whole System Research ist also kein fest definierter Methodenkanon, sondern das Streben nach Forschungsmethoden, die der vielschichtigen Komplexität von gesundheitlichen Vorgängen gerecht werden. Doppelblindstudien werden nicht abgelehnt, doch es wird ihre einseitige Überbetonung kritisiert.
Die englische Wikipedia listete dazu noch 2010 die folgenden Punkte auf (der Wikipedia-Artikel selbst fiel zwischenzeitlich der Neo-Inquisition der Pseudoskeptiker zum Opfer … Aufzählung hier teils gekürzt, teils erläutert):
- Der Beobachtungsschwerpunkt sollte eher beim individuellen Patienten als bei Patientenkollektiven liegen.
- Die Interaktionen zwischen Patient und Behandler sind einzubeziehen.
- Die Therapie wird an jeden Patienten individuell angepasst, statt Patienten schematisch in Gruppen einzuteilen.
- Hilfreich ist die Bereitschaft, eine größere Bandbreite von Therapieergebnissen in die Betrachtung einzubeziehen, von physiologischen und psychologischen bis hin zu sozialen und spirituellen Dimensionen. Dabei ist anzuerkennen, dass die Bedeutung solcher Dimensionen für jeden Patienten unterschiedlich ist.
- Klinische Forschung sollte Hinweise für die klinische Praxis liefern. Grundlagenforschung kann der klinischen Forschung eher nachfolgen (und Erklärungen liefern) als dieser vorausgehen.
- Gesamtsysteme im Gesundheitsbereich sind hoch komplex. Daher gibt es bei konventioneller Forschung Grenzen, die Analyse (Forschungsdaten) auf die Synthese (Anwendungswirklichkeit) zu übertragen.
- Die dynamische Natur lebendiger Systeme ist im Studiendesign angemessen zu berücksichtigen.
- In der Regel werden qualitative (und nicht nur statistisch quantitative) Analysen benötigt, um komplexen und häufig unerwarteten Beziehungen zwischen verschiedenen Komponenten eines Systems auf die Spur zu kommen.
- Die konventionelle Deutung so genannter Placeboeffekte in der klinischen Forschung scheint unzureichend.
- Exploratorische Studien (mit denen neues Terrain erkundet wird) sind auf der gleichen Grundlage wie bestätigende Studien zu bewerten.
Die leitenden Ideen der Whole System Research führen zu neuen Studiendesigns, die sowohl auf konventionelle Medizin (Schulmedizin) wie auf Alternativ- und Komplementärmedizin (CAM) anwendbar sind. Die Ergebnisse sollen leichter auf die Praxis übertragbar sein (hohe externe Evidenz). Ganz konkret ist die vorher erwähnte Cognition Based Medicine ist ein solches neues Studiendesign. Unter den bekannten Studiendesigns kommen so genannte Outcome- oder Beobachtungsstudien den Anforderungen der Whole System Research ebenfalls nahe.
Experience Based Medicine
Experience Based Medicine oder erfahrungsbasierte Medizin ist ein weiterer Begriff in diesem Feld. Die Experience Based Medicine bemüht sich insbesondere um Anerkennung traditioneller Heilweisen. Diese scheitert heute oft schon im Bereich der Arzneimittelzulassung daran, dass Beobachtung, Analysen und „Falldokumentation“ früherer Generationen völlig anders als nach heute etablierten Standards erfolgte. Unter dem Vorwand der Patientensicherheit werden auf diese Weise die Erfahrungsschätze ganzer Volkstraditionen auf das heutigem Pharmaziedenken passende Maß zurechtgeschnitten oder abgeschnitten – einer Entwicklung, der wir entgegenwirken dürfen.
C.C., 2010