„Was ist eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie?“
Beschreibung – Begriffsklärungen – Grenzen |
Kurzbeschreibung
Eine Doppelblindstudie ist eine klinische Studie zur Prüfung spezifischer Arzneimittelwirkungen. Ein Teil der Patienten erhält eine bestimmte Arznei, ein anderer Teil zur Kontrolle ein Scheinmedikament (Placebo). Beide Gruppen sollten randomisiert, d.h. hinsichtlich Krankheitsschwere etc. vergleichbar zusammengestellt sein. Weder Patient noch Arzt wissen, welcher Patient was bekommt. Der statistisch ermittelte Vergleich vorab definierter Ergebnisparameter in beiden Gruppen erlaubt Rückschlüsse auf die Arzneimittelwirkung. Anhand der folgend erläuterten Begriffe wird das Konzept nochmal deutlicher.
Begriffserklärungen
klinische Studie | Systematisch angelegtes Erkundungprojekt an Patienten mit dem Ziel, Antworten zu einer bestimmten Fragestellung zu erhalten. |
Placebo | Scheinarznei (bspw. wirkstofffreie lackierte Pillen) oder Scheinbehandlung (bspw. Akupunktur an unspezifischen Punkten) |
kontrolliert | Es gibt zwei Vergleichsgruppen, deren eine Placebo oder eine andersartige Behandlung erhält. |
placebokontrolliert | Die Arzneiwirkung wird nach der Formel errechnet: Wirkung der Echt-Arznei abzüglich Placebowirkung ist gleich bestätigte Arzneiwirkung. |
Verum | Echte Arznei oder echte Behandlung. |
randomisiert | Die beiden Vergleichsgruppen sind nach gesteuerten Zufallskriterien zusammengesetzt. Es sollte hinsichtlich Krankheitszustand, Alter, Geschlecht usw. keine statistisch signifikaten Unterschiede zwischen beiden Gruppen geben. |
doppelblind | Weder der Patient noch der Behandler wissen, welcher Patient eine Scheinarznei bekommt. Im Idealfall sollte dies auch das Team, das die Daten sammelt, nicht wissen (Dreifach-Verblindung). Den Patienten und den Arzneidosen werden Codes zugeteilt, die erst nach vollständig abgeschlossener Datenerhebung zur endgültigen Auswertung offengelegt werden. |
Wirkung | Effekt einer Behandlung auf einzelne Parameter. Oft verwechselt mit Wirksamkeit! |
Wirksamkeit | Wirkung einer Behandlung hinsichtlich so genannter Endparameter. |
Parameter | Messgrößen wie beispielsweise Blutdruck, Laborwerte, Zahl der kardiovaskulären Ereignisse in einem definierten Zeitraum, 5-Jahres-Überlebensrate oder Selbsteinschätzung des subjektiven Wohlbefindens. |
Endparameter | Eine Messgröße, die dem Gesamtziel einer Behandlung und damit dem Gesundheitsgewinn des Patienten entspricht. |
Ersatzparameter | Stellvertretende Messgrößen, wie beispielsweise Blutfettwerte, die für sich alleine noch nichts über den Gesundheitsgewinn für den Patienten besagen. |
Grenzen von Doppelblindstudien
Doppelblindstudien sind das ideale Studiendesign, um unmittelbare Arzneimittelwirkungen festzustellen. Da Arzneimittelwirkungen in diesem Rahmen nur als statistische Durchschnittswerte ermittelt werden, sind sie auf den einzelnen Patienten nur im Sinne einer Wahrscheinlichkeit übertragbar. Wenn eine Arznei 20 von 100 Patienten bei einer bestimmten Krankheit hilft, 10 von 100 Patienten über flüchtige Nebenwirkungen hinaus schadet und bei 70 Patienten weder hilft noch schadet, ist sie immer noch statistisch signifikant wirksam. Wir wissen jedoch nicht, welche Patienten zu jenen 10% gehören, bei denen die Nachteile der Einnahme überwiegen und die eigentlich nicht auf diese Weise behandelt werden dürften.
Weitere Schwächen von Doppelblindstudien werden diskutiert in Zusammenhang ihrer eingeschränkten Tauglichkeit zur Untersuchung individualisierter Therapieformen. Außerdem entspricht die Trennung spezifischer und unspezifischer Arzneimittelwirkungen nicht ganz der Behandlungswirklichkeit. Nicht erfasst werden außerdem gegenseitige Beinflussungen von Arzneimitteln.
Weitere Grenzen: End- oder Ersatzparameter?
Besonders drastisch ist die Problematik der so genannten End- und Ersatzparameter. Dies lässt sich am besten anhand eines Beispiels darstellen:
Einem Patienten wird ein blutfettsenkendes Arzneimittel verabreicht, um das Herzinfarkt-Risiko zu vermindern. Am einfachsten wäre es nun, in einer Studie die Wirkung einer Arznei auf die Blutfettwerte zu messen. Dies ist jedoch nur ein Ersatzparameter, denn das Behandlungsziel ist ja, die Gefahr eines Herzinfarktes zu verringern. Letzteres könnte als Endparameter angenommen werden. Von dieser Risikoverminderung profitiert tatsächlich jedoch nur ein kleiner Teil der Patienten, welche die Arznei einnehmen, während ein größerer Teil unter unterschiedlichen Nebenwirkungen der Medikation leiden. Durch Nebenwirkungen, aber auch durch viel schwieriger einzugrenzende Verschiebungseffekte im langfristigen gesundheitlichen Geschehen kann im Gesamtergebnis womöglich gar keine lebensverlängernde Wirkung mehr festgestellt werden. Somit ist aus weiterem Blickwinkel selbst die Infarkthäufigkeit nur Ersatzparameter im Bemühen des Arztes um den Gesundheitsgewinn des Patienten.
Selbst der Lebenserhalt ist kein allzeit tauglicher Endparameter, denn bei der statistischen Erhebung bloßer Überlebensraten werden Aspekte wie langjähriges Leiden unter Intensivbehandlung und die eigentlichen Bedürfnisse der Patienten ausgeblendet. Statistische Werte können nur begrenzt Auskunft darüber geben, was für den einzelnen Patienten hilfreich ist.
Gerade bei chronischen Erkrankungen entzieht sich der Lebens- und Gesundheitsgewinn einer Therapie für den individuellen Patienten der statistischen Erhebung einzelner Parameter, wie dies bei randomisierten Doppelblindstudien methodische Grundlage ist. Krankheit, Gesundheit und Heilung sind keine monokausalen Vorgänge, sondern bei jeder Art von Behandlung ein Feldgeschehen zwischen Patient, Therapeut und Therapie. An erster Stelle steht hierbei – falls er nicht durch Systemmechanismen zum bloßen Objekt herabgewürdigt wird – der Patient als geistig-seelisch-lebendiges Wesen. Gehen wir weiterhin davon aus, dass Behandler und Patient ein Behandlungsziel nur in Übereinstimmung miteinander finden können und Lebensverlängerung hierbei nicht das alleinige Maß aller Dinge sein kann, dann berührt dies Fragen des therapeutischen Selbstverständnisses und grundlegende Paradigmen unseres Gesundheitssystems. Dies betrifft nicht alleine das Design klinischer Studien, sondern darüber hinaus das gesamte Gesundheitswesen, das auch wissenschaftlich auf neue Grundlagen zu stellen bleibt.