Hahnemann zur Doppelmitteln in der Homöopathie: Kritik der „Vielmischerei“, Briefe an Bönninghausen und Organon VI

Hahnemanns Klage gegen die „Vielmischerei“

Nicht das einzige Beispiel ist der 1808 erschienene Artikel „Wert der speculativen Arzneisysteme“ im „Allgem. Anzeiger der Deutschen“, Nr. 263:

„Gegen die Krankheiten … sollte man denken, würden sie (die Ärzte) jedesmal nur eine einzige einfache Arzneisubstanz auf einmal anwenden und ihren Erfolg abwarten … nach der gemeinen Regel, der sich niemand entziehen darf: Was durch ein einfaches Mittel geschehen kann, muss man nicht durch zusammengesetzte, vielfache zu erreichen suchen…

Ganz. dem schlichten, reinen Menschenverstande zuwider, setzten sie den Krankheiten nur vielfach zusammen-gemischte Arzneien ent-gegen, deren keine ihnen mehr als oberflächlich bekannt ist, und solcher Arzneigemische geben sie oft mehrere zugleich, oft mehrere in einem Tage… Wären auch die Kräfte jeder einzelnen Arzneisubstanz auf das genaueste bekannt, so würde eine solche Anwendung von Vielgemischen, ein solches Untereinander-Eingehen mehrerer Arzneistoffe auf einmal, deren doch jeder an Wirkungen verschieden sein muss, schon für sich äußerst thöricht sein und zum blinden, tumultuarischen Curiren werden… Schlimmer noch erscheint der Fall und noch sträflicher dieß Beginnen: (Vielgemische zu Rezepten zu Verschreiben) wenn man bedenkt, dass oft alle die vielen, oder doch die meisten dieser zusammengesetzten Dinge einzeln schon von großer, aber unbekannter Wirkung sind …. Diese Vielmischerei ist blos ein Notbehelf dessen, der von den Wirkungen jeder einzelnen Substanz nur sehr wenig Kenntniß hat und sich damit tröstet, daß, da er einmal keine einfache, für den Krankheitsfall passende Arzneisubstanz zu finden weiß, sich doch unter dieser Menge zusammen geschriebenen und unter einander eingegebener Mittel eins befinden könne, was aus Glücksfall den rechten Punct treffen werde.“

Briefwechsel mit Bönninghausen

In einem 1833 stattgefundenen Briefwechsel mit Bönninghausen äußert Hahnemann Zugeständnisse für die Anwendung von zwei zusammenpassenden Arzneien als Doppel-Arznei („Doppelmittel“), erklärt jedoch auch, warum er diese Neuerung nicht in das 6. Organon der Heilkunst aufnehmen wird. Angesichts damals schon sichtbarer Entwicklungen hin zu Komplexmitteln äußert Hahnemann sich schon 1836 deutlich kritischer.

Hahnemann an Bönninghausen, Cöthen, 17. Jun. 1833:

„Auch ich habe schon den Anfang mit zwei zusammenpassenden Arzneien, auf einmal gerochen, gemacht und hoffe auf guten Erfolg. Auch habe ich in der nun eben in Druck gegebenen 5. Ausgabe des Organons diesem Verfahren einen eigenen Paragraph gewidmet und so gehörig zur Kenntniß der Welt gebracht.“

Hahnemann an Bönninghausen, Cöthen,15.Sep. 1833:

„Ganz vor kurzem ward mir berichtet, daß meine Aufnahme der Heilung mit einer Doppel-Arznei (etwa durch den Drucker) aus dem Manuscripte der fünften Ausgabe des Organons Hufeland bekannt worden sei, der schon darüber jubele, daß die Homöopathie doch endlich wieder in den Schooß der allein seelig machenden Kirche zurück kommen müsse, und sich der alten Kunst wieder anschließe.

Da es nun, wie bekannt, nicht unerläßlich und durchaus nie nothwendig (obgleich zuweilen vortheilhaft ist, eine Doppel-Arznei den Kranken zu reichen und der Vortheil von der Bekanntmachung dieser zuweilen dienlichen Verfahrensart unendlich von dem Nachtheile, wie ich sehe, überwogen wird, der aus der Mißdeutung von Allöopathen und Allöo-Homöopathen gewiß entstehen würde; so habe ich gewiß mit ihrem Beifall!) mir das Manuscript wieder schicken lassen und wieder alles in integrum hergestellt, auch wohl noch einem Tadel einer solchen Verfahrungsart hinzugefügt, so daß der orthodoxe Pabst der alten Schule (Hufeland) sich nicht wenig entsetzen wird, wenn er im erscheinenden Organon sein Gaudium zu Wasser zerronnen erblicken wird. Ich weiß, Sie billigen dieß mein Verfahren.“

Hahnemann an Bönninghausen, Köthen, 16. Okt. 1833:
„Leicht hätte mich Ihre Beredsamkeit besiegt, wenn ich mit Ihnen im gleichen Falle gewesen wäre, das ist, wenn ich durch mehrere und so viele Erfahrungen von der Thunlichkeit, ja Vorzüglichkeit des Gebens von Doppel-Arznei so sehr schon überzeugt gewesen wäre, als Sie vermuthlich gewesen sind. Allein von mehren Versuchen dieser Art sind mir nur einer oder zwei gut gerathen, was zur apodiktischen Aufstellung eines neuen Lehrsatzes nicht hinreicht. Ich war also in dieser Praxis noch zu weit zurück, um nach voller Überzeugung selbst damit auftreten zu können.

Es bedurfte daher nur noch eines kleinen Moments, um mich zur Änderung dieser Stelle im neuen Organon zu bewegen, welche nun dahin ausgefallen ist, dass ich die Möglichkeit zugebe, dass zwei wohl gewählte, verschiedene Arzneimittel mit Vortheile in einigen Fällen zugleich gegeben werden können, dass diess aber ein sehr schwieriges und bedenkliches Verfahren zu seyn scheine. Und so glaube ich auf der einen Seite der Wahrheit und auf der anderen meiner bisherigen Überzeugung Genüge gethan zu haben. Es würde mir leid thun, wenn ich dadurch zuviel von Ihrem Wunsche mich entfernt hätte.“

Hahnemann an Bönninghausen, Paris, 18. Sep. 1836:

„… ist es wahr, was mich Dr. Foissac eben jezt versichert, Sie hätten ihm geschrieben, dass Sie jetzt zwei Arzneien zusammengemischt Kranken mit viel Erfolg gäben?

Hat denn nach reiflicher Besonnenheit nicht selbst Aegidi solch gräuliche Ketzerei wieder verlassen, die der wahren Homöophatik den Todesstoß versetzt und sie zu der blinden Allöopathie wieder zurückwirft?
Die Schwefellebern und die Neutralsalze, die immer gleiche Verhältnisse ihrer Bestandteile nach chemischen Naturgesetzen enthalten, sind keine Abweichung in den Verhältnissen und der Güte ihrer Bestandtheile unterworfen, und ewig dieselben und daher als simplicia zu verbrauchen suo jure, und geben keinen Vorwand zu jener gefährlichen Ketzerei und Mischerei.“

Organon VI

Hahnemann in der 6. Auflage des Organon, § 273:

„In keinem Falle von Heilung ist es nöthig, und deßhalb allein schon unzulässig, mehr als eine einzige, einfache Arzneisubstanz auf einmal beim Kranken anzuwenden. Es ist nicht einzusehen, wie es nur dem mindesten Zweifel unterworfen sein könne, ob es naturgemäßer und vernünftiger sey, nur einen einzelnen, einfachen, wohl gekannten Arzneistoff auf einmal in einer Krankheit zu verordnen, oder ein Gemisch von mehreren verschiedenen.
In der einzig wahren und einfachen, der einzig naturgemäßen Heilkunst, in der Homöopathie, ist es durchaus unerlaubt, dem Kranken zwei verschiedene Arzneisubstanzen auf einmal einzugeben.“